Das Jahr 2015 war für mich geprägt von der zentralen und zermürbenden Frage, ob wir eigentlich „noch alle Tassen im Schrank haben“. Wir meint in diesem Fall die Menschheit und jeden einzelnen von uns – überall auf der Welt. Und ich meine hier nicht die Anhänger der AfD, die Terroristen von Paris oder Donald Trump. Wir alle stehen in der Verantwortung, denn ganz offensichtlich laufen unsere Systeme aus dem Ruder. Wir leben in einem überhitztem Wirtschaftssystem, das ständig neue Bedürfnisse erfinden muss um neue Produkte zu verkaufen. In einem durch Lobbyisten durchsetzten politischen System, das schon längst keine Interessen von Menschen mehr vertritt. In einem Bildungssystem, das uns der Kreativität beraubt und nur PISA-geprüfte Young Professionals produzieren will. In einer Welt, die Flüchtlings-Kinder im Mittelmeer ertrinken lässt und gleichzeitig Waffen in Milliardenhöhe in Herkunftsländer dieser Menschen exportiert. Diese Liste lässt sich beliebig lang und je nach Fokus fortführen …
Mehrmals im Jahr hab ich mir an den Kopf gefasst und mich gefragt, was zur Hölle ist los mit uns, das wir das einfach hinnehmen?
Und was folgt ist die Frage, warum tue ich selbst nichts? Diese Frage und fehlende Antworten darauf haben dieses Jahr große Teile meiner Energie gekostet. Ein schmerzhafter Prozess, der noch lange nicht zu Ende ist. Reicht es, wenn jeder im kleinen erste Schritte geht? Klamotten nicht mehr bei H&M kaufen, Bücher in der lokalen Buchhandlung oder Bio-Produkte aus dem Umland? Zweimal im Flüchtlingsheim auszuhelfen und einmal Protest zu wählen? Reicht das? Sieht jemand diese kleinen Schritte? Oder klatschen die uns kontrollierenden Systeme dann in Hände und freuen sich ob unserer sozialen Ader?
Wir müssen unsere Zukunft selbst gestalten und sie uns nicht von korrupten Politikern oder profitgeilen Managern vorschreiben lassen. Das wäre eine Kapitulation der Gesellschaft. Wir müssen wach werden, uns der Probleme bewusst machen und handeln. Im Umgang miteinander, im Umgang mit Konsum, in der politischen uns gesellschaftlichen Interessiertheit. Und ja, die kleinen Schritte sind ein Anfang. Der Diskurs mit dem Lehrer an der Schule meiner Kinder, der Boykott von Nestlé & Co., das auf die Straße gehen und „Refugees welcome“ rufen, neue – soziale – Unternehmen aufbauen.
Mit Blick voraus auf das kommende Jahr 2016 habe ich entschlossen, weiter an eine Revolution zu glauben und mitzuhelfen statt zu resignieren. Gesellschaft neu gestalten statt nur darüber zu reden. Wenn uns die Schulen nicht mehr passen, müssen wir neue Schulen gründen. Wenn wir die mit Bleichmitteln vergifteten Kinder in Indien nicht mehr ertragen können, müssen wir unsere Kleidung an anderen Stellen kaufen. Wenn wir dem politischen System nicht mehr vertrauen, müssen wir uns ein neues erschaffen. Wenn wir die toten Flüchtlinge nicht wollen, müssen wir nach Brüssel marschieren. Wenn wir achso erschrocken sind von den kriminellen Machenschaften von VW-Managern dürfen wir ihre Autos nicht mehr kaufen.
Ich kann im meinem Umfeld sehen, das mehr und mehr Menschen die Dinge hinterfragen und zu mehr kollektivem Bewusstsein kommen. Letzteres ist übrigens eine These, die derzeit von vielen Experten und Wissenschaftlern vertreten wird. Abschließend ein Zitat, das mein Motto 2016 werden könnte:
„Vor allem bewahrt Euch stets die Fähigkeit, jede Ungerechtigkeit, die irgendwo auf der Welt begangen wird, aufs tiefste zu empfinden. Das ist der schönste Charakterzug eines Revolutionärs.“
Che Guevara